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Vor 32 Jahren saßen wir am Himmelfahrtstag im Lager eines Einkaufladens auf Säcken und genossen ein sündhaft teures alkoholfreies Bier. Marion, hat Hansi dir das gebeichtet? oder musste er das Büro hüten und ich war mit Roland zum „besorgen“? Heute bin ich mit etwas Hilfe im Besitz von 2 Büchsen Efes-Pilsner; Prost! Wie in vielen Ländern üblich gibt es alkoholische Getränke nur in Spezialläden, die oft abseits der Hauptstraße sind. Zum Ausschank von solchen Getränken bedarf es wie üblich einer sehr teuren Lizenz, so dass sich das Geschäft nur in Touristen-Hochburgen lohnt. So beispielsweise im Zentrum von Kappadokien.
Ich habe scheinbar alles richtig gemacht. Gestern Abend habe ich noch schnell eine Guided-Tour gebucht. Weil ich nicht im Zentrum des Komplexes wohne, hat sich der Preis verdoppelt. Dabei kann ich nicht zwischen grüner Tour, roter, gelber oder blauer wählen. Da ich mir einen Überblick verschaffen möchte über dieses 95 Quadratkilometer( ja, ja Herr Günter, ich schreibe auf einem i-Pad. Da gibt es den erweiterten ASCI-Zeichensatz nicht!) großes Gebiet, ist diese Frage irrelevant.
Nach dem Frühstück werde ich pünktlich abgeholt. Unsere Reisegruppe besteht überwiegend aus jungen Leuten und 2 indischen Familien. Überhaupt kompensieren die Inder ein wenig die Verluste durch die fehlenden russischen Touristen. Ca 15-20 % aller Touristen waren Russen, die spätestens seit COVID und jetzt durch den Krieg fehlen. Wir konzentrieren uns exemplarisch auf das Taubental. Nach einem kurzen Fotostop und der Erklärung, dass es sich hier um die Hauptstadt eines vorchristlichen Volkes handelt, beginnen wir eine ausgedehnte Wanderung. Ein berühmter Forscher wurde von Ludwig dem XIV entlassen, als er über diese Landschaft behauptete: „Ich bin schon weit gereist, aber etwas Ähnliches habe ich noch nie gesehen. Tausende von Felspyramiden, manche sehen aus wie Hüte, manche wie knieende Frauen, viele mögliche und unmögliche Formen!“ Ich bin im Elbsandsteingebirge schon in viele Winkel gekrochen, erlaubt oder nicht erlaubt, aber so etwas wie hier habe ich auch noch nicht gesehen. Eine Felsen-Landschaft wie die Kappadokiens ist wirklich einmalig auf der Welt.
Über die geologische Entstehung dieser Gegend mag der Leser gefälligst selbst bei Wikipedia nachlesen.
Geschichtlich ist mir nur hängen geblieben, dass das Volk der Hethiter in der Bronzezeit es schafften, einen Friedensvertrag mit den Persern zu schließen und so das Land zum blühen brachten. Sie entwickelten eine eigene Keilschrift, die uns so etwas vermittelt. Kappadokien soll so viel heißen wie: das Land der schönen Pferde. Griechen und Römer beherrschten dieses Gebiet lange. In der Zeit der Christenverfolgung suchten hier in den versteckten Tälern viele Verfolgte Zuflucht. Nutzten die Hethiter die künstlichen Felsen-Höhlen überwiegend als Rückzugsort oder Lager, so wohnten in dieser Zeit nicht nur Mönche dauerhaft in den Felsenwohnungen. Nach der Christianisierung entstanden hier eine Vielzahl von Kirchen und Felsen-Kathedralen. Jedoch spätestens seit dem Vertrag Lausanne 1923, bei dem ca. 2 Millionen Menschen zwangsumgesiedelt wurden, gibt es hier keine nennenswerte christliche Kultur mehr. Die wenigen Überreste baulicher Art sind in den letzten 100 Jahren nahezu völlig zerstört worden. Seitdem das Gebiet Weltkulturerbe ist, bewahrt man das Wenige!
Ich habe mich lange gefragt, warum „Tal der Tauben“ und warum die vielen Lockmöglichkeiten und Nist-Angebote für Tauben? Mit den Eiern konnte man die Wände der Kirchen und Klöster grundieren und bemalen. Der Kot dient als Dünger, denn die Vulkanasche der Umgebung ist sehr leicht und bedarf viel Stickstoff. Na und denn schmecken Tauben auch lecker!
Also endete auch unser Tagesausflug am anderen Ende des Taubentales. Zwischendurch gab es Mittagessen. Über die Größe des Schaschlik hätte jeder Georgier sich krank gelacht. 4 Spieße, jeder 50 cm lang. Jeder trug 5-6 Stücke Fleisch, von den keines größer als der Daumennagel war. Zum Glück war das ja inclusive und andererseits soll ich nicht so viel essen! Auch die Preise unterwegs hatten durchaus europäischen Charakter, obwohl das Einkommen (statistisch) hier nur 1/5 beträgt. Die Wohnungsmieten betragen derzeit 1/10 oder weniger, die Immobilienpreise in guten Lagen sind unseren vergleichbar. Angebaut wird hier in der Gegend alles: Walnuss, Aprikose, Birne, Wein, Äpfel – alles, sofern Wasser da ist. Und das Geschäft mit der Bewässerung blüht.
Zum Schluss, wie könnte es anders sein, geht es noch zum Einkaufen. Schmuck-Design ist angesagt und natürlich viel mit dem neuen „Sultanit“-Steinen. Leider ist alles ein wenig altbacken oder überkandidelt. Einen einfachen, zeitlos gefälligen Ring finde ich nicht wirklich.
So, jetzt feiere ich Himmelfahrt und bereite die nächste Etappe vor. Morgen ist eine 600 km Etappe angesagt. Das sind locker 8-9 Stunden Fahrt mit Tanken und Fotostop. Es soll die letzte Etappe im Hochgebirge sein.