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Das Hotel, welches ich heute verlasse, mag man zu Hause als leicht heruntergekommen bezeichnen. Aber preislich war es unschlagbar. Etwas wackelig bugsiere ich nach dem Frühstück mein Motorrad aus dem hinteren Teil der Hotellobby, wohin ich es gestern Abend noch bringen musste. Mit meiner 800 GS hat dort noch die 1200 GS eines spanischen Ehepaares übernachtet. Ja, jetzt zeigt sich, was die Trainings im Enduropark Hechingen wert sind. Damals staunten wir alle, als der Instruktor die 800 GS mit einer Hand umher-bugsierte. Dreimal war ich da und jedesmal war ich der älteste und mindestens einer von den Jungspunten hat mittendrin aufgegeben. Aber inzwischen macht sich das Alter bemerkbar und da nützen auch nicht die Übungen in der Mucki-Bude, die ich mindestens einmal die Woche besuche. 

Zum Glück regnet es bei der Abfahrt noch nicht, obwohl Donnerwetter, Sturm und sogar Schnee heute für diese Region angekündigt sind. Nach ca. 100 km bekomme ich es doch mit der Angst zu tun und lege Regensachen an. Den ganzen Tag komme ich nicht unter 1500 m Höhe und beim Thermometer steht immer eine 1 als erste Ziffer. Beim Tankstopp werde ich zum Tee eingeladen und schlage nicht aus. An der Wand hängt das Bildnis von Kemal Attatürk, das Bild von Herrn Erogan, wie sonst überall, suche ich vergeblich! In der Ferne grüße schemenhaft der Ararat. 

Er ziert sich, dieser Berg. Aber er gibt mehr preis, als ich erhofft habe. Natürlich liegt sein 5100 m hoher schneebedeckter Gipfel in den Wolken. Unsere Altvorderen glauben, dass an ihm die Arche Noah zerschollen ist. Es bedarf nur wenig Phantasie, um das nachvollziehen zu können. Sein schneebedeckter Vulkan-Kegel, 1840 ist er zum letzten Mal ausgebrochen, hebt sich majestätisch mit seinem kleinen Bruder aus der Hochebene empor. Tja, da oben könnten die Götter wohnen. Man kommt nicht allzu dicht an ihn heran, alles ist voller Militärposten. Armenien, das diesen Berg als Nationalsymbol in seiner Flagge führt, ist nicht weit. Die diplomatischen Beziehungen zwischen diesen Ländern existieren nicht, auch weil die Türkei als Nachfolger des osmanischen Reiches den Genozid an den Armeniern leugnet. Deshalb müssen US-Amerikaner eine Pufferzone zwischen diesen Ländern bewachen.

Ich war also da! Ein Wunsch, den ich mir schon lange erfüllen wollte. Nein, ich habe auf dieser Reise keinen „Lonly Planet“ dabei und reise, wie es mir gerade beliebt. Ziel der heutigen Reise ist Van. Aber vorher kontrolliert mich ausgerechnet der letzte Militärposten der Region. Dann geht es weit über 2500 m hoch hinaus. Als „Flachländler“ weiss ich inzwischen, dass dieses die magische Grenze ist, bei der bei uns gesundheitliche Probleme auftreten können. Sicher, das muss nicht gleich die Höhenkrankheit sein, die selbst Leistungssportler umhauen kann, aber Atembeschwerden, Herzrasen und ähnliches sind häufige Erscheinungen und werden immer wieder beobachtet. Artig nehme ich jeden Morgen und Abend meine Tabletten, um solche Sachen zu minimieren. Erstaunlicherweise hatte ich auf meinen Reisen bisher, auch bei deutlich über 3000 m, keine Probleme gehabt. Deshalb wären der Pamir-Highway, der Karakorum-Pass  oder der Hindukusch oder andere Hochstraßen dieser Welt interessant, aber dazu müsste ich mindestens 10 Jahre jünger sein. Alles hat seine Zeit, die Welt ist groß und morgen ist (hoffentlich) ein neuer Tag!

Kurz vor dem Ziel (ca. 80 km) meine ich durch Wolken zu fahren. Dabei ist es nur ein Sandsturm. Der Wind bläst schon den ganzen Tag sehr heftig über die Hochebene, teilweise mit mehr als Windstärke 10, und die Sonne kommt kaum durch die dichte Wolkendecke. Aber es gibt, abgesehen von einem Schauer, nicht den erwartenden Regen mit Gewitter und Schnee. Wo es der Boden zulässt wird Ackerbau betrieben, selbst auf kleinsten Feldern. Hier, kurz vor der Bezirksstadt, ist viel Ackerbau, weshalb der Sturm für Bodenerosion sorgt. Kilometerlang ist die Sicht eingeschränkt. Zum Glück sind die Straßen überdimensioniert und es ist kaum Verkehr. Auch entlang des Sees ist nicht erkennbar, ob hier jemals Menschen zu Erholung herkommen. Die Gegend ist seit über 5000 Jahren besiedelt und war Hauptstadt des uratäischen Reiches. Die heute hier lebenden haben Sorgen um ihr tägliches Brot. Eine Abwanderung in die Stadt vergrößert das Heer der Bettler. Ansonsten gibt es hier auf nahezu 200 km nichts nennenswertes, Nichts ausser Landwirtschaft und eventuell Militär! Ich erhalte ein 3-Bett-Zimmer für umgerechnet 18 Euro. Immer besser assimiliere ich mich und lerne Nuancen im türkischen Leben kennen. Van, auf 1700 m Höhe gelegen, hätte das Paris des Ostens werden können, wenn man sich mit den Armeniern aussöhnt. Armenien zumindest hat, so lese ich gerade, seine Hand ausgestreckt.

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Egon Milbrod